Nach der Operation

Die OP ist also überstanden. In Kürze soll sie auf die Station verlegt werden. Ich warte nicht bis 19 Uhr ab, sondern bin schon eher wieder in der Klinik. Nach der OP soll sie für eine Nacht auf die Intensivstation zur Überwachung. Und sie ist tatsächlich schon da. Ich darf zu ihr. Ihre Mutter und Schwester sind auch nach Münster gekommen, aber ich gehe erst einmal alleine ins Zimmer.

Da liegt sie nun, ein Häufchen Elend. Schwach, gezeichnet, Schweiß gebadet, etwas angeschwollen, vom Cortison wahrscheinlich. Mir kommen die Tränen. Es tut weh, sie so zu sehen. Sie macht die Augen etwas auf. Nimmt mich wahr, aber zeigt kaum Regung. Lächeln kann sie nicht, sprechen auch nicht. Ich bin so froh, sie zu sehen. Zu sehen, dass sie wirklich lebt. Vorsichtig lege ich meine Kopf an ihren, gebe ihr einen Kuss auf die feuchte Stirn. Sie hat starke Schmerzen, liegt reglos da. Jede noch so kleine Bewegung ist eine Qual. Ich bin hilflos, machtlos. Kann ihr nicht helfen. Das tut weh. Das einzige, was ich tun kann, ist eben einfach da zu sein, und ihr hin und wieder etwas Wasser zu verabreichen. Sie kann den Becher nicht alleine nehmen und halten. An Essen ist noch nicht zu denken.

Fast das erste, was ich tue ist, sie zu bitten, ihre Zehen zu bewegen. Ich Ego! Aber ich muss wissen, ob es noch geht, ob es noch Hoffnung gibt, dass sie wieder wird gehen können (und wir wieder ein normales Leben werden führen können). Es geht! Ich bin so froh. Sie nicht. Denn sie spürt es nicht. Und sehen kann sie es auch nicht, da sie auf dem Rücken liegt und sich nicht aufsetzen kann. Sie hat Angst. Wie ich später erfahre, hat sie schon im Aufwachraum für Furore gesorgt und geschrien, sie könne ihre Beine nicht spüren und bewegen. Aber bewegen kann sie Beine und Zehen wohl, sie spürt es nur nicht. Ihre Nerven sind zu gereizt. Ich beruhige sie, versichere ihr mehrmals, dass sich die Zehen bewegen. Das Bein anzuheben, will ich ihr aufgrund der Schmerzen nicht zumuten. Auf Berührung reagieren ihre Beine sehr empfindlich. Es fühlt sich an wie glühend heiße Nadelstiche.

Später kommt der Stationsarzt, um zu kontrollieren, wie es um ihre Beweglichkeit steht. Er hat weniger Erbarmen. Sie muss ihre Beine anheben. Trotz der Schmerzen. Rechts klappt ganz gut, aber links war ja auch das Problem. Das linke Bein bewegt sich, aber trotz aller Anstrengung bekommt sie es kaum 1 cm hoch. Der Arzt ist besorgt, das sehe ich. Er hat mehr erwartet. Mir wird schlecht, ich muss mich wegdrehen. Er will in einer Stunde nochmal kommen. Ich rede mir ein, dass das normal ist, auch wenn das eben nicht so wirkte.

Er kommt wirklich nochmal. Es klappt schon besser. Gott sei Dank! Ich spreche ihn darauf an. Er gibt zu, dass er sich vorhin ernsthaft Sorgen gemacht hat, aber nun sei er beruhigt. Alles normal. Ich bin so erleichtert!

Zum Schlafen fahre ich zurück ins Hotel. Sie ist dort gut aufgehoben. Man kümmert sich um sie. Und ich kann eh nichts tun. Früh am Mittwochmorgen bin ich wieder da. Sie sieht schon etwas besser aus, aber natürlich noch nicht gut. Vollgepumpt mit Schmerzmitteln, aber trotzdem hat sie leichte Schmerzen. Sie wird öfter umgelagert, Seitenlage, Rückenlage. Jedes Mal durchsteht sie höllische Qualen. Sie ist mal mehr mal weniger wach. Ich sitze einfach nur an ihrer Seite. Halte ihre Hand. Gebe ihr zu trinken. Zu Mittag gibt es Spaghetti, ich versuche ihr etwas davon zu reichen. Sie isst ein paar Nudeln, den Rest esse ich. Die Narkose klingt nur langsam ab. Sie ist immer noch träge. Vielleicht liegt es aber auch am Schmerzmittel. Morphium und Co.

Am Nachmittag soll sie dann auf die normale Station verlegt werden. Da soweit alles normal ist, ist die Intensiv-Überwachung nicht mehr erforderlich. Vorher steht aber noch ein MRT an. Da es bei der OP schwer sichtbar ist, soll das MRT ein detaillierteres Bild vom Zustand nach der OP liefern. Es ist eine Qual. Nicht nur, dass sie ganze 4 Stunden im Vorraum warten muss – ein Notfall kam dazwischen – und erst um 20 Uhr in die Röhre kommt statt um 16 Uhr. Auch das Umlagern von Bett auf die Liege bereitet ihr starke Schmerzen. Aber da muss sie durch, und Erbarmen kennen die Pfleger auch nicht. Irgendwann gegen 21 Uhr ist auch das geschafft und sie bekommt ihr neues Zimmer auf der normalen Station.

Danach fahre ich nach Hause, ich muss ab morgen wieder arbeiten. Das Leben muss ja irgendwie weitergehen.

Die ersten Tage nach der OP sind heftig. Die Schmerzen sind so stark, dass sie keinen Lebensmut mehr hat. Sie ist fertig, hat keine Hoffnung. Ich tröste sie, mache ihr Mut, so gut ich kann. Suche nach den richtigen Worten. Schließlich hat sie doch gerade erst die schwere OP hinter sich. Sie muss Geduld haben. Ich habe ja leicht reden!

Am Samstag hat sie erstmals das Gefühl, dass es aufwärts geht. Das Leben kehrt in sie zurück. Und damit die Hoffnung. Sie kann lächeln, wie gut das tut! Auch wenn die Schmerzen natürlich noch sehr dominant sind und sie weiterhin viel Schmerzmittel bekommt. Kleine Bewegungen sind möglich, alleine drehen kann sie sich noch nicht. Auch das Nehmen und Halten des Bechers ist mühsam. Aber ich helfe ihr gerne, so oft ich kann. Und die Beine sind immer noch sehr berührungsempfindlich.

Und dann der nächste Schlag. Eine zweite OP ist nötig!

Über die zweite OP könnt ihr in Teil 10 lesen.